Im Hafen von Órzola, dem nördlichsten Ort auf der kanarischen Insel Lanzarote hängen Fische zum Trocknen auf langen, gespannten Leinen. Gleich daneben liegt eine kleine Fähre. Dreimal täglich legt sie ab nach Caleta del Sebo, dem Hauptort auf La Graciosa, der größten Insel des Archipiélago Chinijo („kleiner Archipel“). Auf der 30minütigen Fahrt passieren wir El Río, die durch starke Strömungen beeinflusste Meerenge zwischen Lanzarote und La Graciosa. Das Boot hebt und senkt sich an dieser Stelle wieder und wieder, läuft dann aber sicher in den Hafen von Caleta del Sebo ein. Hier stehen wir in einer völlig anderen, ruhigen und abgeschiedenen Welt.
Caleta del Sebo mit seinen 600-700 Einwohnern ist der einzige permanent bewohnte Ort der Insel. Die weiß getünchten Häuser mit ihren blauen oder grünen Türen und Fenstern beherbergen mittlerweile Bars, Restaurants, zwei Pensionen, zwei Supermärkte, eine Bäckerei, eine Fleischerei, eine Apotheke und eine kleine Kirche – also alles, was der Mensch zum Überleben braucht.
Übernachtung
Empfehlenswert ist die Übernachtung in der Pension Girasol, in der man mit ein bisschen Glück eines der schlichten Zimmer zur Meerenge hin erhält. Der Balkon ist der beste Ort, um das Treiben auf dem Vorplatz gegen Abend zu beobachten: Fischfänge werden entladen, gewogen und verkauft. Um den Eiswagen herum streunt eine Katze. Von einem der Dächer lugt ein Hund herab. Die Insulaner treffen sich, sitzen nach Geschlechtern getrennt und mit den typischen Strohhüten auf ihren Köpfen auf den an die Häuser gelehnten Bänken und schwatzen. Den Höhepunkt bietet dann der spektakuläre Sonnenuntergang.
Mit dem Ablegen der letzten Fähre wird es etwas ruhiger. Doch am nächsten Morgen setzt gegen 7.30 Uhr wieder schlagartig das bunte Treiben ein. Die Bewohner eilen zur Fähre, die eine halbe Stunde später nach Lanzarote ablegt, und mit deren Auslaufen es genauso abrupt wieder totenstill und menschenleer wird.
Inseltouren
Das ist die beste Zeit, um die 27 km² große Insel zu erkunden. Denn Caleta del Sebo ist Ausgangspunkt für Erkundungen sowohl des südlichen, als auch des nördlichen Teils von La Graciosa. Grundsätzlich kann, wer gut zu Fuß ist, die Insel erwandern. Alternativ gibt es einen Fahrradverleih für Trekkingräder und Mountainbikes. Unabhängig davon, welche Fortbewegungsart wir wählen, es begleitet uns stets das Knacken und Knirschen der Schneckengehäuse, die zu Tausenden den Boden der Insel bedecken. Befestigte Wege gibt es hier nicht.
Südlicher Inselteil
Die kürzere Exkursion führt uns von Caleta del Sebo in Richtung Süden. Wir laufen entlang des Küstenstreifens, parallel zum Steilufer Risco de Famara auf der anderen Seite der Meerenge. Am Ufer neben uns bleibt bei Ebbe Lavagestein zurück, in dessen Mulden kleine Fische, Krebse und Muscheln zu finden sind. Den kleinen Campingplatz der Insel lassen wir zu unserer Rechten liegen und gelangen zu einem der zahlreichen feinsandigen weißen Strände. Nach einer Erfrischung im glasklaren Wasser der Playa Francesa geht es hinauf auf die Montaña Amarilla, den „gelben Berg“. Er ist einer der vier vulkanischen Berge La Graciosa’s. Von ihm aus haben wir eine wunderbare Sicht auf die Insel. Direkt zu unseren Füßen liegt die Playa de la Cocina umschlossen von Lavaarmen und mit türkisfarbenem Wasser in einer kleinen Bucht. Wir steigen wieder hinab und laufen weiter entlang der Küste Richtung Norden, um dann vor der Montaña del Mojón nach rechts abzubiegen und die Insel auf feinem Muschelsand zurück nach Caleta del Sebo zu durchqueren.
Nördlicher Inselteil
Die nördliche Inselroute führt vom Hafen geradewegs durch Caleta del Sebo hindurch auf eine breite, unbefestigte Piste. Nach ca. 2 Stunden Fußmarsch erreichen wir einen wundervollen Sandstrand, den wohl schönsten der Insel, die Playa de las Conchas. Den „Strand der Muscheln“ haben wir insbesondere am frühen Morgen noch völlig für uns alleine, da sich die Tagestouristen erst gegen späteren Vormittag mit den wenigen Insel-Jeeps dorthin fahren lassen. Der Passatwind peitscht das Wasser gegen den aufgetürmten pulvrigen gelben Sand, der aus unzähligen zerfallenen Muscheln besteht. Durch die starke Brandung und den Sog ist an diesem Strand allenfalls Wellenplanschen angeraten. Doch das Sonnenbad genießen wir in vollen Zügen. Der Blick fällt dabei unweigerlich auf die vorgelagerten, unbewohnten Inseln Montaña Clara und Alegranza, die wie riesige Felsen aus dem Wasser ragen.
Ausklang einer Reise
Nachdem wir uns ausreichend erholt haben, gehen wir ein kleines Stück des Weges zurück, links vorbei an der rötlich schimmernden Montaña Bermeja mit ihren außergewöhnlichen vulkanischen Strukturen Richtung Nordosten und gelangen nach einer guten Weile zur wilden, oftmals mit Treibgut bestückten Playa del Ámbar. Auch hier haben wir eine traumhafte Aussicht zu den Nachbarinseln. Ein Abstecher führt zu den Caletones, einer schmalen kontrastreichen Bucht, die von einer Brücke aus Basaltgestein überspannt wird. Danach steuern wir das kleine Dörfchen Pedro Barba an. Dieser ehemalige Hauptort der Insel ist heutzutage nur noch zur Ferienzeit durch spanische Urlauber besiedelt. Wer sich das Dörfchen nicht ansehen möchte, biegt davor rechts ab und gelangt zurück nach Caleta del Sebo.
Bevor wir am späten Nachmittag die Fähre zurück nach Órzola nehmen, lohnt es sich, in der kleinen Bar am Hafen noch einen „café sólo“ (Espresso) oder einen„cortado“ (Espresso mit Milch) zu trinken und letztmalig den Anblick der gewaltigen Risco de Famara auf Lanzarote zu genießen. La Graciosa bietet vor allem Menschen, die zur inneren Ruhe kommen, sich in der Abgeschiedenheit auf sich selbst besinnen und mit der Natur eins sein wollen, einen erholsamen Urlaub.
Wer vorab schon einen Vorgeschmack auf „die Anmutige“ bekommen möchte, erhascht einen spektakulären Blick vom Mirador del Río auf den Klippen des Risco de Famara. Wie von einem Flugzeug aus blickt man auf La Graciosa herab und kann sich kaum satt sehen an den Erhebungen, den Farben und den Wolken, die der Passatwind darüber hinwegfegt.
Korrekturen und Ergänzungen: